Der aktuelle HINTERGRUND Ausgabe 2022- II

Neues zur ersten Tätigkeitsstätte

Für Steuervereinfachungen sind wir alle. Wenn die Komplexität von Gesetzen vereinfacht und vereinheitlicht wird, stellen sich allerdings Anwendungsfragen zu diesen „einfachen“ Gesetzen. Der oberste Entscheider für steuerrechtliche Anwendungsfragen ist der Bundesfinanzhof (BFH). Aktuell wurden durch den BFH Regelungen, die mit der Reform des Reisekostenrechts 2014 eingeführt wurden, einer Überprüfung unterworfen. Und zwar für alle, die ihren Job nicht im Büro oder im Betrieb des Arbeitgebers durchführen – also beruflich ständig an wechselnden Arbeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig sind.

 

Reisekosten - was sind das?

Wer beruflich außerhalb seiner Wohnung und seiner beruflichen Tätigkeitsstätte tätig wird, kann von seinem Arbeitgeber Aufwendungen steuerfrei erstattet bekommen oder diese im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung als Werbungskosten geltend machen, die nach dem sogenannten Reisekostengrundsätzen ermittelt werden. Die Leser, die nur vorübergehend außerhalb tätig werden, betreffen die Rechtsprechungen des BFH eher nicht. Wichtig sind die neuen Ansichten des BFH allerdings für alle, die an ständig wechselnden Arbeitsstätten oder auf Fahrzeugen ihre berufliche Tätigkeit ausüben (Postzusteller, Müllwerker, Pflegekräfte, Polizisten uvm.).

 

Die erste Tätigkeitsstätte

Nur wenn ich meine regelmäßige („erste“) Tätigkeitsstätte verlasse, kann sich die Frage ergeben, ob eventuell Aufwendungen nach Reisekostengrundsätzen abzurechnen sein können. Die Mutter aller Fragen in diesem Zusammenhang ist daher, ist überhaupt eine erste Tätigkeitsstätte vorhanden – und wenn ja: Wo ist die?

Dieses Wissen um die erste Tätigkeitsstätte ist unverzichtbar für die Fragestellung, ab welchem Zeitpunkt die Auswärtstätigkeit überhaupt beginnt. Da Verpflegungsmehraufwendungen bei eintägigen Auswärtstätigkeiten nur geltend gemacht werden können, wenn die Auswärtstätigkeit mehr als 8 Stunden dauert, ist es schon entscheidend, ob diese Zeitmessung beim Verlassen der Wohnung oder halt ab der ersten Tätigkeitsstätte beginnt.

Zudem ist es für die Ermittlung der Fahrtkosten interessant. Wie Sie sicherlich wissen, können Fahrten zur Arbeit (wenn diese die erste Tätigkeitsstätte ist) nur für die einfache Entfernung geltend gemacht werden. Käme die Prüfung der ersten Tätigkeitsstätte allerdings zu dem Ergebnis, dass keine erste Tätigkeitsstätte vorhanden ist, dann kämen sämtliche Fahrtkilometer (also Hin- und Rückfahrt) für die steuerfreie Erstattung oder den Ansatz als Werbungskosten in Frage!

 

Ermittlung der ersten Tätigkeitsstätte

Mit der Reform des Reisekostenrechts wurde die Ermittlung der ersten Tätigkeitsstätte eindeutig festgelegt: Sie ist dort anzunehmen, wo der Arbeitgeber sie bestimmt (Punkt!). Nur wenn der Arbeitgeber keine Tätigkeitsstätte bestimmt oder nicht eindeutig bestimmt hat, ist diese dort anzunehmen, wo der Arbeitnehmer arbeitstäglich tätig werden soll oder zwei volle Arbeitstage in der Woche aufschlägt oder mindestens ein Drittel seiner wöchentlichen Arbeitszeit leistet. „Angreifen“ will der BFH jetzt die Fälle, wo der Arbeitgeber eine Bestimmung der Tätigkeitsstätte vorgenommen hat. Nach seiner Ansicht ist die nicht in Stein gemeißelt.

 

Was fordert der BFH?

In einer neuen Entscheidung des BFH fordert er, dass für eine wirksame Zuordnung zur ersten Tätigkeitsstätte durch den Arbeitgeber, der Arbeitnehmer am Zuordnungsort auch mindestens berufstypische Arbeiten erledigen muss. Bei einem Postzusteller sieht der BFH das so. Die Haupttätigkeit eines Postzustellers wird sicherlich in seinem Zustellbezirk erbracht. Die Zuordnung seines Arbeitgebers zu einem Zustellzentrum und die vorbereitenden Tätigkeiten des Zustellers die er hier erbringen muss (Sortiertätigkeiten, Abrechnungen u. ä.) reichen aber aus, dass nach Ansicht des BFH diese Zuordnung gültig ist.

 

Ganz aktuell sieht der BFH aber die Tätigkeit eines Müllwerkers anders. Selbst wenn er durch seinen Dienstherrn einer Tätigkeitsstätte zugeordnet wurde, ist diese unbeachtlich, da Ansprachen der Tourenleitung, Abholen von Tourenbüchern, Einsatzplänen und Fahrzeugen, keine Tätigkeiten darstellen, die berufstypische Nebentätigkeit wären!

 

Beratungsempfehlung

Diese BFH-Entscheidung verdeutlicht die Notwendigkeit der Einzelfallauslegung. Alle Berufsbilder, die durch die Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers im Sinne des Einkommensteuergesetzes eine Tätigkeitsstätte erhalten hatten und diese gegen sich gelten lassen mussten, haben nun die Möglichkeit auf Basis der neuen Entscheidung gegenüber dem Finanzamt individuell zu argumentieren.

 

Ihr Jens Bunte

 

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